Greenwashing | Teil 1

Green Claims: Was Bauprodukthersteller in Zukunft hinsichtlich ihrer Umweltaussagen berücksichtigen sollten

Juni 2024
10
Minuten
Markus Hieke
Das Bild zeigt einen Innenhof mit einer kreisförmigen Öffnung im Dach, durch die Sonnenlicht auf einen Baum mit roten Blättern fällt. Die Wände und der Boden des Innenhofs bestehen aus glattem Beton, was einen modernen und minimalistischen Eindruck vermittelt. Der Baum steht im Zentrum des Raumes und bildet einen starken Kontrast zu den harten Betonflächen, indem er Wärme und Natur in die kühle Umgebung bringt. Die Schatten des Baumes und der Öffnung im Dach werfen interessante Muster auf den Boden, die dem Bild eine zusätzliche Tiefe verleihen.
Foto: Eduardo Taulois

In diesem ersten Part einer zweiteiligen Serie informieren wir darüber, worauf Sie sich als Bauprodukthersteller und Designmarke mit Blick auf die beschlossene EmpCo-Richtlinie und die derzeit diskutierte Green Claims Directive einstellen müssen. Aufschlussreiche Antworten liefern uns hierzu Dr. Daniel Kendziur, Rechtsanwalt und Partner bei SKW Schwarz in München, und Florian Himmelstein von der Berliner Zertifizierungsgesellschaft GUTcert.

Im vergangenen Herbst haben wir an dieser Stelle erstmals ausführlich über die Green Claims Initiative der Europäischen Union 🇪🇺 berichtet. Mit der sogenannten EmpCo-Richtlinie fiel im Januar 2024 eine weitere Entscheidung auf EU-Ebene, die sich in allen Mitgliedsstaaten gegen das Greenwashing in der Markenkommunikation richtet.

Beide Richtlinien verfolgen das Ziel, dass Nachhaltigkeitsaussagen den Verbraucher:innen gegenüber nur getätigt werden dürfen, sofern diese auf Basis von Zertifizierungen nachvollziehbar sind. Genau hierin besteht ein entscheidender Unterschied zu geltenden Schutzbestimmungen für Verbraucher:innen: Durften angezweifelte Green Claims bislang im Nachhinein bewiesen werden, so sehen die Novellierungen vor, dass den Marken zukünftig Zertifikate vorliegen müssen, bevor sie in die entsprechende Kommunikation starten.

Auf den Prüfstand gestellt werden soll dabei der Gebrauch von Begriffen wie »CO2-neutral« oder »klimaneutral«. Aber auch die Möglichkeit, das eigene Nachhaltigkeits-Image durch Kompensation aufzupolieren, steht zur Disposition. Am Ende dieses Textes finden Sie eine Einordnung der wichtigsten Begrifflichkeiten. Unser gut gemeinter Rat: Verwenden Sie in Ihrer Kommunikation als Bauprodukthersteller oder Designmarke besser heute als morgen korrekte und belegbare umweltbezogene Aussagen. Wir verraten nun, warum.

Worum geht es bei der Green Claims Directive?

Ziel der Green Claims Directive ist es, transparente Standards für die Nutzung von umweltbezogenen Aussagen über Produkte und Dienstleistungen zu schaffen. Am 12. März 2024 wurde vom EU-Parlament beschlossen, dass die Green Claims Directive ergänzend zur EmpCo-Richtlinie und in Teilen nochmals detaillierter ausformuliert auf den Weg gebracht werden soll.

Was genau hat es mit der EmpCo-Richtlinie auf sich?

Die Abkürzung EmpCo steht für »Directive on Empowering Consumers for the Green Transition«, auf Deutsch: Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher:innen für den Grünen Wandel. Sie zielt in erster Linie auf irreführende Umweltaussagen und damit gegen Greenwashing gegenüber Verbraucher:innen ab. Vom Europäischen Parlament wurde die EmpCo-Richtlinie am 17. Januar 2024 beschlossen, am 26. März 2024 trat sie in Kraft. Von diesem Zeitpunkt an haben die europäischen Mitgliedstaaten 24 Monate Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Für Deutschland 🇩🇪 wird es voraussichtlich eine Änderung im Gesetz gegen unlautere Geschäftsbedingungen (UWG) geben: Zukünftig verboten sein werden dann u.a. unbelegte allgemeine Umweltaussagen, Umweltaussagen mit falschem Bezug, Nachhaltigkeitssiegel, die nicht auf einem anerkannten Zertifizierungssystem beruhen oder von staatlichen Stellen eingeführt wurden sowie die Werbung mit einer Kompensation von Treibhausgasemissionen.

Wo liegt noch einmal das derzeitige Problem?

Zu viele Nachhaltigkeitssiegel gelten in ihrer Wirksamkeit als nicht nachprüfbar und kaum vergleichbar. Ebenso werden häufig Umweltaussagen getroffen, die nicht präzise oder bewusst beschönigend eingesetzt werden. Man spricht hierbei von Greenwashing.

Dr. Daniel Kendziur, Partner bei SKW Schwarz (links) | Florian Himmelstein, stellv. Fachleiter Carbon Footprint/Klimaneutralität bei GUTcert (rechts)

Das kommt bald auf Sie zu

»Tatsächlich ist in dieser Empowering-Consumer-Richtlinie ganz viel untergebracht worden, was ursprünglich in die Green-Claims-Richtlinie hinein sollte. Teilweise sogar in verschärfter Form gegenüber dem Ursprungsentwurf der Green-Claims-Richtlinie. Für uns hier relevant sind die Richtlinie gegen unlautere Geschäftspraktiken und die Richtlinie zum Verbraucherrecht,« betont Dr. Daniel Kendziur, Rechtsanwalt und Partner bei der Münchner Kanzlei SKW Schwarz.

Nun wird die gesamte Idee der Zertifizierung einmal viel Geld und Zeit in Anspruch nehmen. Was für große Unternehmen einfacher realisierbar scheint, könnte sich für kleinere Firmen als ungleich größere Herausforderung herausstellen. Wie schaffen es wirtschaftlich schlanker aufgestellte Marken, sich in puncto Nachhaltigkeit zu engagieren und darüber zu informieren, auch wenn sie möglicherweise keine kostenintensiven Zertifikate vorzuweisen haben? Die halbgute Nachricht: Die Green Claims Directive betrifft nach jetzigem Stand erst Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeitenden und ab zweieinhalb Millionen Euro Jahresumsatz. »Kleinere Unternehmen sind davon befreit und können diese Regelungen freiwillig anwenden. Wenden sie sie allerdings an, dann sind auch sie wieder den Rechtsfolgen unterworfen«, mahnt Daniel Kendziur.

Der eher negative Punkt: »Für viele Unternehmen ist das eine ziemlich ernüchternde Erkenntnis, weil sie ja mit 11, 15 oder 20 Mitarbeitenden immer noch eine ganz andere finanzielle Kraft haben als die großen Konzerne dieser Welt«, so der Experte von GUTcert Florian Himmelstein. »Es wird sich zeigen, was bei der Green Claims Directive am Ende herauskommt. Generell empfehle ich, sich nicht gerade auf Buzzwords zu stürzen, sondern als Unternehmen mit einem guten Gewissen zu kommunizieren, was man denn aktuell macht. Versucht man, auf Elektrifizierung umzusteigen? Beteiligt man sich an lokalen Projekten? Neben dem Thema Treibhausgase gibt es ja auch noch die ganzen weiteren Umwelteinflüsse, Biodiversität und so weiter. Es gibt also auch für kleinere Unternehmen diverse Möglichkeiten, sich irgendwie zu engagieren und diese ganzen Aktionen zu kommunizieren.«

Welche Regeln werden mit relativ hoher Sicherheit kommen?

Wie genau die geplanten, EU-weit vereinheitlichten Standards für Informationspflichten aussehen werden, ist natürlich noch Verhandlungssache. Daniel Kendziur betont: »Ein Punkt, der mit der jetzt beschlossenen Richtlinie zusammenhängt, ist, dass Werbung mit Klimaneutralität weitgehend verboten sein wird, sobald die beworbene Klimaneutralität durch Ausgleichsmaßnahmen erreicht wird.« Ebenso dürften Aussagen wie »umweltfreundlich«, »grün«, »klimafreundlich« oder »biobasiert« zukünftig grundsätzlich verboten sein, schätzt Kendziur. »Ausnahme ist allenfalls, wenn es bereits eine normative Festlegung, anerkannte Höchstleistungen auf gesetzgeberischer Ebene gibt. Das kann man am Beispiel der Energieeffizienzklassen bei Elektrogeräten nachvollziehen, da gibt es solche normativen Festlegungen.«

Wichtig: Auch Werbung mit geplanten Umweltleistungen wird verboten sein, sofern es keine detaillierten und realistischen Umsetzungspläne hierfür gibt, die regelmäßig von unabhängigen externen Sachverständigen überprüft werden. Kurzum bedeutet das, dass Ziele – etwa bis 2040 oder 2035 klimaneutral zu sein – weiterhin öffentlich kommuniziert werden können – unter der Voraussetzung, dass dabei ebenso formuliert wird, wie genau dieses Ziel erreicht werden soll.

Für sämtliche umweltbezogenen Aussagen gilt: Liegt keine durch akkreditierte, unabhängige Stellen zertifizierte Bescheinigung zu den geäußerten Informationen vor, drohen empfindliche Bußgelder: mindestens 4 Prozent des Jahresumsatzes des Unternehmens – und das in jedem einzelnen der betroffenen Mitgliedsländer.

Was gilt es jetzt zu tun?

»Sie müssen sich informieren, Sie sollten langfristig planen und alle Stakeholder, alle Beteiligten im Unternehmen einbeziehen, um sich auf das vorzubereiten, was spätestens 2026 auf Sie als Unternehmen zukommen wird«, empfiehlt Daniel Kendziur. Von der Produktentwicklung über die Marketing- und PR-Abteilungen bis hin zur Rechtsabteilung und technischen Expert:innen: »Wenn es beispielsweise um reine Berechnungsfragen für Treibhausgas-Emissionsreduzierungen geht, dann sollten wirklich alle zusammenarbeiten und kommunikative Klarheit schaffen.

Letztendlich werden Marken nicht umhinkommen, in die eigene Nachhaltigkeitsstrategie und -kommunikation zu investieren. Markenportfolios müssen analysiert und gegebenenfalls gestrafft werden, wie Daniel Kendziur sagt. »Sie brauchen eine Strategie, wie Sie die Ideen, die Sie in der Richtung haben, in Zukunft klar und rechtssicher kommunizieren und nutzen können. Wichtig ist dabei auch stets die Frage, wen Sie eigentlich ansprechen: Sind Sie Zulieferer in der Möbelindustrie oder der Bauindustrie? Dann haben Sie einen anderen Adressat:innenkreis, als wenn Sie Endkund:innengeschäft betreiben. Marktbezogene Nachhaltigkeitsstrategien erfordern daneben auch interne Schulungen. Natürlich gilt es, die Kosten für Nachhaltigkeitszertifizierungen und -kommunikation einzuplanen und zu budgetieren.«

Was jetzt nicht passieren darf.

»Wenn ich zum Beispiel für ein Produkt oder eine Dienstleistung mit Umweltvorteilen nur noch werben darf, solange ich dafür unter ökologischen Gesichtspunkten, Nachhaltigkeitsaspekten und verbunden mit hohen Kosten vorab sehr viele zusätzliche Zertifizierungen erstellen lasse, stellt sich für kleine und mittlere Unternehmen unter Umständen die Frage: Lohnt sich das eigentlich noch?«, so Kendziur. Es gebe inzwischen den neuen Begriff des Green Hushing, dass man also einfach schweigt. Und das sei vielleicht noch die positivere Entwicklung, dass die Entwicklung am Produkt stattfindet, aber niemand mehr darüber spricht. Nicht Zweck des Ganzen ist dagegen, dass die bevorstehenden administrativen Aufgaben die Unternehmen von ihren Nachhaltigkeitsbemühungen abhalten.

Für all diejenigen, die sich engagiert ins Zeug legen und in »Nachhaltigkeit« mehr als ein verkaufsförderndes Wort erkennen, sind beide Richtlinien eine Chance. Eine Gelegenheit, konkurrierende Marken, die bisher auf Grünfärberei bauen, hinter sich zu lassen.

Folgen Sie unserer fortlaufenden Kommunikation zu diesem Thema. In einem zweiten Teil geben wir Ihnen einen kleinen Hands-on-Leitfaden zur Formulierung von umweltbezogenen Aussagen auf den Weg.

Sie wünschen sich individuelle Unterstützung in Ihrer Marketing- und Vertriebskommunikation? Nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf.

Die Basics – Begriffe richtig gebrauchen

Weder international noch im deutschen Recht gibt es aktuell eine Legaldefinition für Nachhaltigkeitsbegriffe, wie uns Florian Himmelstein von der Prüfgesellschaft GUTcert in Berlin erklärt. Man kennt es aus dem Alltag: Es wird jongliert mit Worten wie »klimaneutral« – doch was genau im Einzelfall dahinter steht, weiß außer der Marke, die sich diese verkaufsfördernde Losung zu eigen macht, niemand.

Für einen Definitionsversuch empfiehlt Himmelstein einen Blick auf die Arbeit des IPCC, dem Umweltprogramm der Vereinten Nationen und der Weltorganisation für Meteorologie, welches sich in Studien intensiv mit dem Thema Klimawandel befasst:

CO2-Neutralität

»Bei der CO2-Neutralität ist es so, dass wir nur das Treibhausgas Kohlenstoffdioxid, genauer den Wert der CO2-Emissionen anschauen. Ihm gegenüber stehen technisch oder biologisch erzielte Senken. Gleicht beides einander aus (erzielt etwa durch Aufforstung), sodass man am Ende auf Netto-Null kommt, dann bezeichnet man das als CO2-Neutralität.«

Treibhausgas-Neutralität

Komplexer wird es daneben bei der sogenannten Treibhausgas-Neutralität. »Hierbei schauen wir uns auch die weiteren Treibhausgase an. Neben Kohlenstoffdioxid gibt es noch mehr sogenannte Klimagase, wie sie damals (1997) im Kyoto-Protokoll festgehalten wurden«, so Florian Himmelstein. »Dazu gehören einzelne Treibhausgase, aber auch Treibhausgasgruppen, insbesondere etwa Fluorkohlenwasserstoffe wie sogenannte HFCs, PFC, aber auch so etwas wie Lachgas oder Methan.«

Ein entscheidender Faktor ist, dass diese weiteren Treibhausgase in der Regel einen stärkeren Treibhausgaseffekt haben als CO2. Für die Vergleichbarkeit wird die Emissionsmenge deshalb in sogenannte CO2-Äquivalente umgerechnet. Über sie lässt sich das Treibhausgaspotenzial der einzelnen Treibhausgase beschreiben.

Ein Beispiel: Methan hat einen 25- bis 27-mal stärkeren Treibhausgaseffekt als Kohlendioxid. Dementsprechend wird eine Tonne Methan in 25 bis 27 Tonnen CO2-Äquivalenten ausgedrückt.

Klimaneutralität

Wann lässt sich wirklich von Klimaneutralität sprechen? »Laut IPCC ist es die Erweiterung der Treibhausgasneutralität. Zusätzlich werden hier weitere biophysikalische Auswirkungen betrachtet«, erläutert Himmelstein. »Wenn zum Beispiel wärmeres Abwasser in einen Fluss eingeleitet wird, dann verändert sich dessen Temperatur und das hat dann auch Auswirkungen auf das Klima. Oder: Wenn durch Rodung die Erdoberfläche verändert wird und diese dadurch eine ganz andere Rückstrahlkraft hat (man spricht hierbei von der Beeinflussung des Albedo-Effekts), so hat auch das Auswirkungen auf das Klima.« Das jedoch zu quantifizieren und nachzuweisen, ist keine einfache Aufgabe.

Treibhausgasbilanz

Unterm Strich interessiert uns bei allen zuvor genannten Neutralitäten die Treibhausgasbilanz. Warum? Der Weg zu einer Klima- oder Treibhausgasneutralität besteht immer aus zwei Stufen, wie Florian Himmelstein erklärt: zunächst einmal aus der Erfassung des Status quo. Wie viele Emissionen entstehen aus dem Unternehmen, aus dem Produkt, aus der Dienstleistung? In einem zweiten Schritt überlegt man sich, welche Strategie man anwendet, um die Emissionen zu reduzieren, zu vermeiden oder zu kompensieren.

Bei Produkten etwa betrachtet man dafür den gesamten Lebensweg: die Rohstofferzeugung, die Vorproduktion, den Transport, die Lagerung und so weiter, bis letztendlich auch die Nutzung, Entsorgung oder im besten Fall natürlich Cradle-to-Cradle-Optionen betrachtet werden. Bei Unternehmen wiederum schaut man sich die direkten Emissionen des Unternehmens vor Ort an: Verbrennungsprozesse, indirekte Emissionen wie für den bezogenen Strom, eingekaufte Waren und Dienstleistungen. Bei umfassender Betrachtung gehört auch die Nutzung der eigenen Produkte und deren spätere Entsorgung hinein. Es geht dabei also um die vor- und nachgelagerten Wertschöpfungsketten.

Und wie ist es mit der Kompensation?

»In der Frage, ob Kompensation überhaupt sinnvoll ist, gibt es zwei sich gegenüberstehende Weltanschauungen: Die eine Seite sagt, Kompensation ist sinnvoll. Schließlich ist der Kerngedanke dessen, CO2 da zu reduzieren, wo dies am günstigsten umsetzbar ist. Dem gegenüber ist allerdings auch die Kritik berechtigt: die Frage danach, ob die ganze Reduktionswirkung letztendlich auch so stattfindet. Nicht immer ist die Qualität so, dass die Projektregionen, in denen die Kompensation umgesetzt wird, zusätzliche positive Effekte erfahren – wie etwa Menschen vor Ort mittels Biogasanlagen durchgängig mit elektrischer Energie zu versorgen.«

Daneben besteht der Ansatz, eine Art internen CO2-Preis beiseite zu legen, um das gesammelte Budget dann in eigene Reduktionsmaßnahmen zu stecken. »Denn wenn man kompensiert, ist das Geld erstmal weg, da bekommt man keinen Return on Invest. Man hat selbst keine Investitions- oder Reduktionsverbesserungen vor Ort«, so Himmelstein. Wieso also nicht selbst das Geld in die Hand nehmen und in messbare interne Reduktionsprojekte stecken?

Quellen