Drei Dinge, ohne die in der Kommunikation von Nachhaltigkeit bald gar nichts mehr geht.
Was die EU Green Claim Initiative, DIN SPEC 91484 (Pre-Demolition-Audit) und der Vorschlag für die neue Verordnung für Bauprodukte (kurz BauPV) gemeinsam haben? Als Bauprodukthersteller:in sollte man sich schleunigst damit auseinandersetzen, wenn man nicht Gefahr laufen will, hohe Strafen zu kassieren oder vom Wettbewerb thematisch meilenweit abgehängt zu werden. Und werden EPD für Produkte eigentlich bald Pflicht?
Die EU Green Claim Initiative gegen Greenwashing und für mehr Transparenz
Neue Verordnungen, Direktiven und Initiativen entwickelt die EU gefühlt am laufenden Band. Aber eher selten welche mit so konkreten und greifbaren Auswirkungen auf die Nachhaltigkeitskommunikation von Bauprodukthersteller:innen. Das ändert die voraussichtlich 2024 in Kraft tretende EU Green Claim Initiative - oder auch »Richtlinie über Umweltaussagen« - auf einen Schlag.
- Der Anlass: „In einer 2020 durchgeführten Studie der EU-Kommission wurde festgestellt, dass ein wesentlicher Anteil der Umweltaussagen (53,3 %) zu einer Vielzahl von Produktkategorien in der EU vage, irreführende oder unbegründete Informationen über die Umwelteigenschaften der Produkte enthalten. […] Bei der Analyse wurde festgestellt, dass 40 % der Aussagen nicht belegt wurden.1“
- Die Vorgabe: Umwelt- und Klimaschutzbegriffe in der Werbung sind seit dem 22. März 2023 nachzuweisen. Diese müssen anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse belegt werden. Außerdem sind nur noch Werbeaussagen erlaubt, die über den gesamten Lebenszyklus betrachtet werden und keine pauschale Bewertungen der Umweltaussagen des Produkts treffen.
- Das Ziel: Die inflationär eingesetzten Umweltaussagen der Unternehmen sollen reguliert werden. Insbesondere Aussagen in Bezug auf vermeintliche Klimaneutralität durch Kompensationsprojekte sollen hiermit eingedämmt werden.
- Der aktuelle Status: Den gibts zwei Absätze weiter unten.
Ist mein Unternehmen auch davon betroffen?
Vermutlich ja. Denn selbst, wer eine saubere und wissenschaftlich fundierte Grundlage für seine Aussagen vorzuweisen hat, muss diese auf den Kommunikationsmitteln auch entsprechend nachweisen und verlinken. So gab es bereits vor der Green Claim Initiative einige Präzedenzfälle, in denen Unternehmen verklagt wurden, die lediglich nicht die richtige URL zu Kompensationspartner:innen verlinkt hatten. Deren Verurteilung lag übrigens das »Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb« zugrunde, das 2005 in der Europäischen Union verabschiedet wurde2.
»Ok ciao«, oder ist die Gefahr vielleicht auch eine Chance?
Bis zur vollständigen Umsetzung der Richtlinie wird noch etwas Zeit ins Land gehen, was aber kein Grund ist, die Füße hochzulegen, sondern eher ganz im Gegenteil: Unternehmen sollten aus der Not eine Tugend machen und das Thema proaktiv vorantreiben. Denn wenn wir mal ehrlich sind: Wittern wir als Privatpersonen nicht auch bei diversen werblichen Umweltaussagen, Slogans und Siegeln ein hohes Greenwashing-Potenzial und fühlen uns dadurch eher abgeschreckt als dass es Vertrauen aufbaut?
Wer sich also jetzt schon damit auseinandersetzt und die Grundlagen schafft für eine saubere Kommunikation, wird nicht nur authentisch von den Zielgruppen wahrgenommen, sondern sichert sich einen echten Wettbewerbsvorteil bis spätestens 2027.
Von Green Claims hin zur DIN SPEC
Die Baubranche steht regulatorisch zunehmend unter Druck. So werden beispielsweise »Projektentwickler:innen verpflichtet, 30 Prozent der beim Neubau verwendeten Materialien aus wiedergewonnenen Quellen zu beziehen.3« Das ist eine Tatsache, auf die auch Architekt:innen reagieren und Antworten haben müssen. Aus diesem Grund haben sich Concular und der Initiator Dominik Campanella (Co-Geschäftsführer von Concular) mit unterschiedlichen Akteur:innen aus dem Bausektor zusammengetan und die DIN SPEC 91484 entwickelt, um die Kreislaufwirtschaft am Bau maßgeblich voranzutreiben.
In aller Kürze ist die DIN SPEC ein Verfahren zur Erfassung von Bauprodukten, um das Anschlussnutzungspotenzial beim Rückbau festzulegen. Genauer umfasst es folgende Bestandteile:
- Definition von Anforderungen für die Informationsaufnahme, das Zieldokument, den Prozess, die beteiligten Akteur:innen sowie Tools.
- Diese Infos werden als Leitfaden zur Erstellung von »Pre-Demolition-Audits« (PDA) zur Verfügung gestellt.
- Für den Datenaustausch wird ein einheitliches Datenformat angestrebt, um die Kompatibilität mit anderen Formaten zu gewährleisten.
Kurzum soll die DIN SPEC dabei helfen, Bauprodukte zu identifizieren, die sich für die Wiederverwendung eignen, um Materialien in den Kreislauf zurückzuführen und Ressourcen zu sparen.
Und wann wird aus der DIN SPEC eine DIN NORM?
Die DIN SPEC als eine Art Vorstufe zur DIN NORM hat den Vorteil, dass sie schneller umgesetzt werden kann. Und genau das ist das, was die Baubranche derzeit am dringendsten braucht: Schnelligkeit. Und dazu gute Maßnahmen, die zur Kreislauffähigkeit des Sektors beitragen. Die DIN SPEC kann als Basis für eine DIN NORM gelten und somit die Anforderungen für Verfahren festlegen. Bei aller Paragraphenreiterei ist aber der größte Wunsch von Dominik Campanella folgender: »Mit dem im Standard beschriebenen Verfahren wird der Gebäudebestand systematisch erfasst und dokumentiert. Das gibt nicht nur der Wirtschaft einen klaren Handlungsrahmen, sondern ermutigt auch die Gesetzgeber, künftige Rück- und Umbauarbeiten an dieses Dokument zu knüpfen.«4
Sind Ihre Produkte schon DIN SPEC kompatibel und somit kreislauffähig?
Dann werden Ihnen die Vorschläge zur Veränderung der Bauprodukteverordnung kein Kopfzerbrechen bereiten. Denn auch hier ist ein klarer Trend in Richtung Kreislauffähigkeit und Rückahmesysteme erkennbar. »Verbesserung der Nachhaltigkeitsleistung von Bauprodukten«, das ist eines der vier Ziele, die mit der Überarbeitung der Bauprodukteverordnung (kurz BauPV) verfolgt wird. Neben einer Verbesserung der Nachhaltigkeitsleistung stehen folgende Ziele auf der Agenda:
- 🚨 Gewährleistung eines reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts und des freien Verkehrs von Bauprodukten;
- 🌿 Aktivierung des Beitrags des Bauökosystems zur Verwirklichung der Klima- und Nachhaltigkeitsziele und Unterstützung des digitalen Wandels als Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit des Systems.
- 🧑🏼⚖️ Gewährleistung, dass harmonisierte Normen zur Wettbewerbsfähigkeit des Ökosystems beitragen und die Beseitigung von Markthindernissen fördern.4
Ist eine EPD für Hersteller:innen von Bauprodukten also künftig Pflicht?
Gemäß der vorgeschlagenen Änderungen für die Verordnung werden Hersteller:innen künftig verpflichtet sein, Umweltinformationen über den Lebenszyklus ihrer Produkte bereitzustellen. In der Überarbeitung wird darauf hingewiesen, dass eine Verlinkung zur EPD als Nachweis herangezogen werden kann. Wird diese also bald Pflicht? Vermutlich nicht in eben dieser Konsequenz, allerdings werden immer mehr Fakten, wie sie in der EPD dokumentiert werden, nachweispflichtig. Deshalb ist es nicht nur hinsichtlich der BauPV ratsam, EPDs für die Produkte zu erstellen, sondern auch hinsichtlich der Anforderungen von Architekt:innen: Denn manche von ihnen schließen Produkte kategorisch für ihre Planung aus, wenn es diese Information nicht gibt oder diese nicht in der Ökobaudat auffindbar ist.
Die Überarbeitung liegt nun seit dem 30. März 2022 zur Prüfung vor. Im nächsten Schritt müssen sich das EU-Parlament und der Rat auf eine gemeinsame Stoßrichtung mit der Kommission einigen, um diese Richtlinie flächendeckend ausrollen.
Brauche ich jetzt einen Anwalt?
☝🏻 Wenn Ihr Instinkt nun insbesondere in Sachen Green Claim Initiative eine Fluchtreaktion hervorruft, dann können wir Sie beruhigen: Das geht nicht nur Ihnen so und die Klagewelle der DSGVO, an die wir uns nur zu gut erinnern können, könnte sich möglicherweise wiederholen. Dennoch können und sollten wir die nahende Verschärfung als Chance nutzen, uns auf die wesentlichen Kommunikationsanlässe zu fokussieren und einen eigenen Beitrag leisten zur transparenten, relevanten und nachverfolgbaren Nachhaltigkeitskommunikation.
Wie der Aufbau einer sinnvollen Nachhaltigkeitskommunikation funktioniert, erfahren Sie übrigens hier in unserem letzten Insights-Artikel.
Wenn Sie es bis hierhin geschafft haben, nutzen Sie doch Ihren Wissensvorsprung und greifen Sie die Themen auch bei sich im Unternehmen gleich an. Für eine wettbewerbs- und zukunftsfähige Kommunikationsstrategie haben wir so einige Ideen im Köcher.
Und übrigens: Mit diesen und weiteren hochaktuellen Themen haben wir uns übrigens in unserer Sustainability Masterclass in Marketing & Sales bei und mit HPP Architekten Ende August in Düsseldorf beschäftigt. Im zweiten Quartal 2024 folgt die nächste.
Weitere Infos gefällig? Dann schreiben Sie an michael@hej.build.