Design Thinking & New Work: Flexibel & agil für die Nutzer:innen planen
So sehr wir es unterstützen, dass Technik und Automatisierung – auch in der Architektur – in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen haben: der Mensch bleibt am Ende doch der Maßstab, an dem der Erfolg ersichtlich wird. Oder eben nicht.
Effizienz, messbare Ergebnisse und Kosten-Nutzen-Maximierung lassen sich mit den wahren Bedürfnissen der Nutzer:innen nur selten vereinbaren. Der Ansatz des Human-centered – oder zu deutsch “menschzentrierten“ – Designs stellt in diesem Zusammenhang eine zukunftsweisende und interaktive Herangehensweise an die generelle Problemlösung dar. Menschliche Perspektiven spielen dabei eine ebenso große Rolle wie Prozesse. Gerade bei der Gestaltung von Innenräumen oder der Konzeption von Arbeitswelten werden HCD und Design Thinking auf mittelfristige Sicht das Maß aller Dinge sein. Denken wir.
Um in Zukunft flexibel und agil auf sich verändernde Situationen reagieren zu können, benötigen wir in der Planung dringend System, die nützlich und nutzerfreundlich zugleich sind.
Sind Human-centered design (HCD) und Design Thinking nicht dasselbe?
Ja und nein. Beiden Ansätzen gemein ist,
- dass stets der Mensch den Mittelpunkt aller kreativen Prozesse darstellt,
- die iterative Vorgehensweise mit dem Ziel, ein optimales Ergebnis zu erreichen,
- die eingehende Analyse der Ausgangssituation,
- das Kennenlernen der Nutzer:innen,
- die Entwicklung von Prototypen.
Den Unterschied macht vor allem die Zielsetzung aus. Denn während mithilfe des HCD eine hohe Usability und User Experience gewährleistet werden soll, zielt Design Thinking auf das Entwickeln innovativer und kreativer Lösungen für komplexe Probleme ab, die die Bedürfnisse der Nutzer befriedigen, technisch machbar und wirtschaftlich sind. Außerdem arbeitet Design Thinking mit multidisziplinären Teams und ist damit viel breiter aufgestellt, als HCD.
Design Thinking als Strategie
Um in Zukunft flexibel und agil auf sich verändernde Situationen reagieren zu können, benötigen wir in der Planung dringend System, die nützlich und nutzerfreundlich zugleich sind. Hinter dem Stichwort “Usability” verbirgt sich letztlich nichts anderes, als das Bestreben,
- das menschliche Wohlbefinden,
- die Effizienz,
- die Benutzerzufriedenheit,
- die Zugänglichkeit
- und die Nachhaltigkeit
auf lange Sicht zu verbessern und damit mögliche negative Auswirkungen, die aus der Nutzung resultieren, von vornherein zu vermeiden.
Die Hintergründe
Die Idee des Human-centered Designs ist dabei keine neue Erfindung. Erste dahingehende Überlegungen reichen bis in das Jahr 1958 zurück. Damals schlug ein gewisser Professor John E. Arnold (Stanford University) vor, dass das technische Design auf den Menschen ausgerichtet sein sollte. Beflügelt von den bewusstseinserweiternden Umständen der 60er Jahre setzte er mit seinem kreativen Konzept des Design Thinking an der Schnittstelle so unterschiedlicher Fachgebiete wie Technik, Psychologie, Anthropologie und Kunst an. Und begründete damit eine Geisteshaltung, die heute aktueller zu sein scheint, als je zuvor.
Die Herangehensweise
Wie aber lässt sich Design Thinking in die alltäglichen Abläufe von Planungsbüros und Kreativen zielführend implementieren? Wie wird aus der Theorie in der Praxis konkret Anwendbares? Und warum sollten wir überhaupt über die Möglichkeiten dieser Strategie nachdenken?
Weil es um die aktive Lösung von Problemen geht, anstelle diese lediglich fein säuberlich in einem Excel-Sheet zu dokumentieren, abzuspeichern und anschließend weiterzumachen wie bisher. Wie es stattdessen funktionieren kann:
Schritt 1
Die Ausgangslage wird von allen Seiten betrachtet, aus verschiedenen Perspektiven analysiert und in Hinblick auf Nutzung und Nutzer:innen evaluiert. Dabei helfen neben Kreativität auch Offenheit und Unvoreingenommenheit sowie die Fähigkeit loszulassen.
Schritt 2
Es folgt der Prozess des ungefilterten Brainstormings, die Modellierung und Prototypisierung. Der Mensch bleibt dabei stets der Mittelpunkt aller Bemühungen. Technik dient nur als Mittel zum Zweck. Das heißt allerdings nicht, dass moderne Mittel in diesem Zusammenhang keine Rolle spielen (dürfen).
Schritt 3
Nach erfolgreicher Umsetzung werden Systeme laufend methodisch gemessen und bewertet, um anhand des Nutzer:innen-Feedbacks gegebenenfalls Justierungen vornehmen und Lösungen laufend optimieren zu können. Oder um es mit weniger Worten zu sagen: der Weg ist das Ziel.
Wege, Innenräume nachhaltig zu gestalten
Im Kontext von Design Thinking gewinnt auch die Gestaltung unserer Innenräume zunehmend an Bedeutung. Eine Vielzahl an Faktoren bestimmt dabei, wohin die Trends und Tendenzen der kommenden Jahre gehen:
- Wohlfühlfaktor: Räume mit Qualität – Licht, Akustik und Farbe ganzheitlich gedacht
- Nachhaltigkeit: recycelte oder recycelbare Materialien aus regionalen Quellen
- Flexibilität: Räume, die sich mit den Bedürfnissen der Nutzer:innen wandeln können
- Individualität: alles andere als von der Stange
- Sicherheit: Rückzugsorte, die gleichermaßen Privatsphäre und Kontrolle bieten
- Gesundheit: Materialien frei von gesundheitsschädlichen Zusatzstoffen
Erschreckend, aber Statistiken lügen ja bekanntlich nie: wir verbringen rund 90 Prozent unserer Zeit in geschlossenen Räumen. Klar, dass die architektonische wie gestalterische Qualität in diesem Zusammenhang von maßgeblicher Bedeutung für unsere Gesundheit und Leistungsfähigkeit ist. Architekt:innen werden damit heute wieder zu echten Generalisten – wie es vor hundert Jahren noch gang und gäbe war: neben fundierten Kenntnissen der Akustik- und Lichtplanung heißt es, sich auch mit den neuesten Möbel- und Materialtrends zu befassen und technische Innovationen mitzuverfolgen. Ganzheitliche Gestaltung lautet das Motto – für die Nutzer:innen und unsere Zukunft, nicht das Prestige.
3 Fragen an Chris Middleton von kinzo
Das Architekturbüro kinzo wurde 2005 von Karim El-Ishmawi, Martin Jacobs und Chris Middleton in Berlin gegründet. Ein Fokus des international erfolgreichen Teams liegt auf der innovativen Gestaltung von Arbeitswelten an der Schnittstelle zu Innenarchitektur und Design.
Werden wir in Zukunft nur noch in virtuellen Parallelwelten arbeiten?
Ja und nein: einen echten Ort der Begegnung braucht es dabei immer – auch in hybriden Arbeitsmodellen. Informelle und ungeplante Gespräche funktionieren nur gut in Präsenz, gleiches gilt für kreative Prozesse und den agilen und spontanen Austausch. Aber auch im Onboarding neuer Kolleg:innen oder dem Lernen voneinander ist der analoge Ort dem virtuellen Raum deutlich überlegen.
Wie sollen unsere analogen Arbeitsumgebungen dann aussehen?
Diesen Ort entsprechend funktional, aber vor allem inspirierend zu gestalten, ist wichtiger denn je. Die Galeere an Schreibtischen im Büro hat ausgedient, vielmehr geht es um individuelle und identitätsstiftende Orte der Begegnung, wo ein professionelles Arbeiten in all seinen Facetten besser möglich ist als im Home Office.
New Work in a Nutshell?
Es geht um mehr Qualität und weniger Quantität. Mobiles Arbeiten, Home Office und Workation funktionieren als flexible Ergänzungen. So kann New Work verbinden und begeistern.
New Work: so arbeiten wir morgen
Unsere Arbeitswelt vollzieht nicht erst seit Corona einen stetigen Wandel. Retortenartige, abgekapselte Einzelzellen sind mittlerweile standardmäßig von luftigen Großraumbüros – dem Open Office – abgelöst worden. Ob hippe Spielwiese mit Rutsche, Kicker und eigener Bar oder seriös gestalteter Designtempel – aus räumlicher Sicht spielen nicht nur eine geschickte Zonierung und eine ausgewogene Durchmischung der Arbeitsbereiche (vom Think Tank bis zur Pantry) eine tragende Rolle – auch Akustik, Licht, Materialien und Farben tragen zu einer Erhöhung des Wohlfühl- und Produktivitätsfaktors maßgeblich bei.
Der Pandemie-Turbo hat unerwartet alle Büroarbeit in die New Work Ära katapultiert. Zumindest die digitale Kommunikation ist inzwischen allgegenwärtig. New Work ist vor allem agiles und vernetztes, aber auch aktives und selbstbestimmtes Arbeiten. Dank mobiler Tools können analoge und digitale Arbeitsweisen smart und immer intuitiver kombiniert werden. — Chris Middleton (kinzo)
Die Top 10 Themen des New Work
01 → Bedürfnisse verstehen
Wofür steht ein Unternehmen, wo liegen die USPs, wie wird gearbeitet und was braucht das Team, um harmonisch und effektiv kollaborieren zu können?
02 → Flexibilität
Wie lässt es sich mobil arbeiten?
03 → Raum für offene Ideen
Wie werden Visionen zur Realität?
04 → Kommunikation
Wie bringt man das Team an einen Tisch?
05 → Agilität
Wie gelingt es, proaktiv, antizipativ und initiativ zu agieren, um notwendige Veränderungen herbeizuführen?
06 → Partizipation
Wie können Mitarbeiter:innen in die Prozesse eingebunden werden?
07 → Nachhaltigkeit
Wie müssen Arbeitsumgebungen gestaltet sein, um sinnstiftendes Handeln zu ermöglichen?
08 → Material
Wie lassen sich Räume “gesund” gestalten?
09 → Wohlfühlfaktor
Wie können Licht, Akustik, Klima und Farbe die Produktivität beeinflussen?
10 → Innovation
Wie schaffen wir es heute für morgen zu planen und motivierende Arbeitsumgebungen zu denken?
3 spannende kinzo-Projekte
Suhrkamp Verlag
Suhrkamp Verlag: Berlin | 2019 | kinzo & Bundschuh
- Gesucht: Ein Raumkonzept, das die Identität des Auftraggebers widerspiegelt.
- Gefunden: Ein Maßanzug, schlicht und elegant: irgendwo zwischen Fast Fashion und Haute Couture. Nur cooler.
- Die Erkenntnis: Auch eine kostengünstige Lösung kann – bei smarter und kreativer Umsetzung – ein raumübergreifendes Arbeiten mit Kommunikation auf Augenhöhe verbinden.
Uhlmann Office Building
Uhlmann (Laupheim) | 2020 | kinzo & Barkow Leibinger
- Gesucht: Platz für rund 300 Arbeitsplätze. Aber lässig.
- Gefunden: Eine Arbeitswelt, die von spielerischen Formen und kräftigen Farbakzenten geprägt ist.
- Die Erkenntnis: Mut zum Spiel mit Farben und Formen zahlt sich aus.
DisCo
DisCo | Industriedesign | 2020 | kinzo & Lisa Wolf
- Gesucht: Ein ‚First-Aid-Kit‘, das Arbeiten auf Distanz vor Ort möglich macht.
- Gefunden: DisCo „DistantCommunity“ – transparent, mobil und schnell aufgestellt.
- Die Erkenntnis: DisCo war nicht nur eine temporäre Notwendigkeit während Corona, das Element ist auch eine langfristig sinnvolle Ergänzung der Arbeitswelt mit Ausbaupotenzial.
Weiterführende Links
Mit Blick über den eigenen Tellerrand hinaus, lohnt es sich immer, auch angrenzende Themenfelder als Informationsquellen nicht außer Acht zu lassen. Einige Tipps aus unserer Redaktion zum Weiterlesen, Vertiefen oder Reinhören:
- Das zukunftsInstitut forscht für die Entwicklung von Menschen und Organisationen und hat in diesem Zusammenhang 12 Megatrends definiert – einer davon: New Work. In eigenen Dossiers, wie diesem zum Thema Unternehmenskultur, blicken die Zukunftsforscher:innen gezielt noch etwas tiefer.
- Der Büromöbelhersteller Wilkhahn hat mit dem „Human Centered Workplace“ ein Konzept für die Planung von Büros entwickelt, das den globalen Megatrends Nachhaltigkeit, Gesundheit und Digitalisierung Rechnung trägt – mehr dazu im Whitepaper zum Download.
- Wer etwas Handfestes sucht, dem sei zum Thema Human-centered Design das gleichnamige Fachbuch des Autors Martin Ludwig Hofmann ans Herz gelegt. Finden wir interessant, weil es ein studierter Soziologe, Politikwissenschaftler und Absolvent der Betriebswirtschaftslehre, der zudem Humanwissenschaften im Kontext der Gestaltung an der Technischen Hochschule Ostwestfalen-Lippe lehrt, einfach wissen muss.
- Nachdem ein Podcast in dieser Trilogie an Informationskanälen keinesfalls fehlen darf, hier unser Tipp zum Reinhören: GERSTBACH.AT. Die Unternehmensberater verstehen sich als Forscher, Mutmacher und Vordenker. Ihr Ansatz: Design Thinking steht für einen Prozess des Zuhörens, Verstehens und Verbindens.
Hinweis: Dieser Artikel wurde ursprünglich auf unserer ehemaligen Suchmaschine für Architektur-Fortbildungen (architekturfortbildung.de) veröffentlicht.